108² – “Serenity” (Ein Bericht über Tirols erste 100m+ Highline)

“Serenity”
Ein Bericht über Tirols erste 100m+ Highline

Alles fing damit an, dass wir mit ein paar Leuten für eine ca. 30m lange Highline in einer Klamm unterwegs waren. In dem Wissen, dass nur wenige hundert Meter weiter die nächste Klamm ist, beschlossen Wolfi (Reidlinger) und ich einmal dorthin zu laufen, in der Hoffnung einen mittellangen Spot von 50 bis 80 Meter zu finden. Sobald wir den Weg gefunden hatten, tat sich vor uns eine ca. 100m tiefe und 100m breite Schlucht auf. Allein der Gedanke dort eine Highline zu spannen war respekteinflößend.
Nichtsdestotrotz kamen wir (erweitert um Flo Smith) mit einer Bohrmaschine wieder, um nach der Felsqualität zu schauen, und bohrten ein paar Probelöcher. Der Fels war leider nicht so gut wie erhofft. Ernüchtert von der nicht idealen Felsqualität, und der enormen Länge verschoben wir das Projekt um unbestimmte Zeit.


Was wir damals nicht wussten, war, dass Christian Waldner sich bereits in derselben Klamm eine ca. 80m lange Highline eingebohrt hatte, die er jedoch selbst noch nicht aufgebaut hatte. Netterweise baute Christian die Highline mit uns zusammen auf, sodass wir einen ersten Geschmack von der Aussicht und Ausgesetztheit bekommen konnten. Die Line konnte jedoch damals niemand begehen.
Circa ein halbes Jahr später fragte ich Alex (Schulz) nach seiner Motivation die Line einzubohren und aufzubauen, und der Plan begann sich zu entwickeln. Zu dem Zeitpunkt war bereits Donnerstag und wir setzten kurzfristig den Sonntag als Termin für dieses Projekt, da wir beide gerade Zeiten hatten. Da wir in letzter Zeit oft damit trainiert hatten, beschlossen wir EQB-Sumo (82g/m) mit 9mm-Statikseil als Setup zu verwenden.

Am Sonntag war es dann so weit. Tessi (Weber) und Flo (Zoller) waren auch am Start und halfen uns netterweise aufbauen, obwohl sie gar nicht auf die Line wollten! Außerdem war wieder der Fotograf Flo Smith dabei, der das ganze Projekt lang grandiose Bilder machte.
Beim Einbohren des Ankers fand Alex gleich eine erheblich bessere Felsplatte, und wir verwendeten zusätzlich 6 extra lange 12er-Bolts (für einen Anker!).

Dann begann der eigentliche Spaß, nämlich die Verbindung zwischen den beiden Fixpunkten zu legen. Da wir so kurzfristig keine Drohne auftreiben konnten um die Verbindung zu fliegen, blieb uns nichts anderes übrig als uns an beiden Seiten abzuseilen. Ich seilte mich an der recht unproblematischen Westseite an einem 100m Statikseil an der nahezu senkrechten Wand ab. Alex hatte hingegen mehr Mühe, denn nach ca. 60 Metern endete bei ihm die senkrechte Wand und ging in einen bewaldeten Hang über. Zum Glück war der Hang recht steil, sodass er es schaffte eine Reepschnur von Baum zu Baum zu werfen, sodass die Schnur am Ende auf allen Bäumen auflag. Ich kam Alex dann die letzten 20 Meter vor dem Boden entgegen. Im Hang konnten wir dann gleich seine Reepschnur mit meinem Seil verbinden. Die Verbindung stand!

Es dauerte noch ein bisschen bis wirklich alle finalen Handgriffe erledigt waren, aber dann auf einmal stand die Highline! Unglaublich, nach insgesamt 8 Stunden hatten wir es geschafft über diese gigantische Schlucht in 100 Metern Höhe eine Highline zu spannen! Der Laser sagte 108 Meter Länge an.
Alex und ich konnten beide einen ersten Versuch starten, allerdings ausgelaugt vom Rigging beide nicht sehr viel reißen.
In den nächsten beiden Tagen absolvierte jeder ca. 3 Fullman-Crossings und wir experimentierten viel mit der Spannung der Line und des Backups. Spannung des Backups heißt hier wohlgemerkt eher wie sehr in Schlaufen es hängen soll.

Der erste wirklich gute Versuch auf der Line sollte Alex gelingen. Nachdem er mit wenigen Catches auf die andere Seite kam, machte er sich auf den Rückweg und konnte ab 10m vom Ende bis zum Anker laufen. Motiviert durch Alex‘ guten Versuch und mit Musik in den Ohren begab ich mich auf die Line. Den Hinweg schaffte ich mit 3 Catches. Auf dem Rückweg quälte ich mich über die ersten 10m und lief ab da in regelmäßigem Bouncen, ohne die Line großartig in Bewegung zu versetzen zum anderen Anker. Meine erste 100m-Highline!
Am nächsten Morgen, und finalen Tag, begrüßte uns wunderschönes Wetter, und T-Shirt-Temperaturen. Nachdem wir uns ein wenig in der Sonne entspannt hatten, ging Alex auf die Line.

Dass er die Line die er bei seinem letzten Versuch quasi durchgelaufen war, jetzt laufen würde, wurde spätestens klar, als er mir nach ca. 10 Metern mit einem Lachen zurief: „Ey Oli, die Spannung ist echt perfekt jetzt, die Line fühlt sich mega gut an!“
Nachdem er lässig auf die andere Seite spazierte setzte er sich hin und schrie ebenfalls seine Freude in die Klamm. Anschließend zeigte er wo der Hammer hängt, indem er den auch noch gleich den Rückweg lief, und somit den Fullman komplettierte! Damit konnten wir beide dem Projekt einen perfekten Abschluss geben, und die “Serenity” getaufte Line begehen.

An dieser Stelle einen riesigen Dank an alle die sich an der ganzen Aktion beteiligt haben: Tessi, die uns ihr Auto gegeben hat, jeden Tag mit am Spot war und auch noch abbauen geholfen hat, Flo Smith fürs Fotografieren, Flo Zoller fürs Aufbauen helfen, Francisco Crespo fürs Free-Solo-Verbindung-legen in einem brüchigen Felshang und Helfen beim Aufbau der kürzeren Line, und Lukas Wimmer und Wolfgang Reidlinger für den moralischen Support und das Scouten!

– Autor: Oliver Roß –

Bilder © Flo Smith – flosmithphotographic.com | facebook.com/flosmithphotographic